Augenblicksversagen: Aktuelle Beispiele & Urteile

Das Augenblicksversagen ist häufig Bestandteil von Gerichtsverfahren. Wir erklären, was hinter dem Begriff steckt und wie die Gerichte bisher entschieden haben.

30.09.2025, 16:43 Uhr Redaktion
Blitzerkatalog Glossar: Augenblicksversagen
Unser Glossar zum Thema Augenblicksversagen.

Was ist Augenblicksversagen?

Das Augenblicksversagen (auch: Augenblicksunaufmerksamkeit) ist ein juristischer Begriff aus dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht, der ein menschliches Fehlverhalten beschreibt. Es handelt sich um einen geringfügigen und entschuldbaren Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift, der auf einem kurzzeitigen, unbeabsichtigten und leicht fahrlässigen Fehlgriff des Fahrers beruht.

Im Gegensatz zur groben Fahrlässigkeit oder dem Vorsatz liegt beim Augenblicksversagen ein Verstoß von geringerem Gewicht vor, der typischerweise bei jedem sorgfältigen Fahrer im Alltag einmal vorkommen kann. Wird ein Verkehrsverstoß als Augenblicksversagen eingestuft, kann dies zur Abwendung eines Fahrverbots oder zur Reduzierung des Bußgeldes führen.


Kriterien und juristische Einordnung

Die Gerichte prüfen bei der Entscheidung, ob ein Augenblicksversagen vorliegt, folgende Kriterien:

  • Menschliches Normalverhalten: Die Reaktion muss psychologisch nachvollziehbar und als typische Reaktion eines sonst sorgfältigen Fahrers in einer Alltagssituation einzustufen sein.
  • Kurzzeitigkeit: Das Fehlverhalten darf nur für einen sehr kurzen, flüchtigen Moment aufgetreten sein.
  • Keine Pflichtverletzung: Es dürfen dem Verstoß keine schwerwiegenden, dem Fahrer vorwerfbaren Pflichtverletzungen vorausgegangen sein (z.B. stark überhöhte Geschwindigkeit vor einem Rotlichtverstoß).

Ein Augenblicksversagen führt nicht zur Schuldlosigkeit, sondern wird als eine Form der leichten Fahrlässigkeit gewertet. Es dient lediglich als mildernder Umstand bei der Bemessung der Sanktionen.


Abgrenzung: Augenblicksversagen vs. Grobe Fahrlässigkeit

Die Einordnung ist entscheidend für die Sanktionen. Während beim Augenblicksversagen oft von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, ist dies bei grober Fahrlässigkeit ausgeschlossen.

Kriterium Abgrenzung
Verschulden

Augenblicksversagen: Fehlleistung des Gehirns, leichter Fehler, der jedem passieren kann.

Grobe Fahrlässigkeit: Deutliche Vernachlässigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.

Beispiele

Augenblicksversagen: Kurzzeitiges, leichtes Übersehen eines Rotlichts bei «Gelb-Fahrt» (siehe Urteile).

Grobe Fahrlässigkeit: Massive Geschwindigkeitsüberschreitung, Überfahren eines Rotlichts nach langer Rotphase.

Typische Folge

Augenblicksversagen: Bußgeld oft erhöht, Fahrverbot kann entfallen.

Grobe Fahrlässigkeit: Regelbuße und in der Regel Fahrverbot.


Beispiele und Urteile zum Augenblicksversagen (Rechtsprechung)

Die Gerichte haben das Augenblicksversagen primär in zwei Bereichen angewendet:

1. Rotlichtverstoß

Bei Überfahren einer roten Ampel sind die Gerichte am ehesten bereit, ein Augenblicksversagen anzuerkennen. Entscheidend ist dabei die Dauer der Rotphase und die situative Ursache:

  • Anerkennung (Mitzieheffekt): Wenn der Fahrer auf einer mehrspurigen Fahrbahn die Ampel der Nachbarspur (z.B. Linksabbieger) mit der eigenen verwechselt und deswegen losfährt, kann dies als entschuldbares Augenblicksversagen gewertet werden. Das Regelfahrverbot entfällt hierbei (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2009 – Az. 2 (6) SsBs 558/09).
  • Ablehnung (Qualifizierter Verstoß): War die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot (qualifizierter Rotlichtverstoß), wird in der Regel grobe Fahrlässigkeit angenommen (BGH, Az. 4 StR 435/98).
  • Ablehnung (Beweismangel): Die Berufung auf technische Probleme (z.B. eine blinkende Kontrollleuchte) reicht nicht aus, um ein Augenblicksversagen anzunehmen, wenn konkrete Feststellungen zur Ursache und zum Zeitpunkt der Ablenkung fehlen (OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.11.2020, Az. 3 ORbs 220/20).

2. Geschwindigkeitsüberschreitung

Bei Geschwindigkeitsverstößen wird Augenblicksversagen nur sehr selten als Entschuldigungsgrund anerkannt, da die Geschwindigkeit über einen längeren Zeitraum gehalten wird.


  • Faustregel: Eine einfache Unachtsamkeit, die zum Übersehen eines Verkehrsschildes führt, wird von Gerichten nicht als Augenblicksversagen gewertet.
  • Urteil: Das Kammergericht Berlin verwarf die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen, der innerorts um 12 km/h zu schnell fuhr, weil er das Zeichen übersehen hatte. Das Gericht stellte fest, dass die Urteilsgründe des Amtsgerichts keine Anhaltspunkte für eine nur kurzzeitige, entschuldbare Unaufmerksamkeit ließen und betonte die sehr enge Anwendbarkeit des Augenblicksversagens (KG Berlin, Az. 3 ORbs 22/23 – 162 Ss 9/23).

Quellen & weitere Infos:

  • BGH Urteil 08.07.1992 - IV ZR 223/91: Abgrenzung Rotlichtverstoß/Augenblicksversagen.
  • OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.12.2009, Az. 2 (6) SsBs 558/09: Anerkennung des Mitzieheffekts als Augenblicksversagen.
  • OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.11.2020, Az. 3 ORbs 220/20: Ablehnung des Augenblicksversagens bei fehlenden Feststellungen zur Ablenkung.
  • KG Berlin, Beschluss vom 24.05.2023, Az. 3 ORbs 22/23 – 162 Ss 9/23: Verneinung des Augenblicksversagens bei Geschwindigkeitsüberschreitung durch übersehenes Schild.

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