Raser-Ranking: Allianz wertet Daten zur Verkehrssicherheit aus
Wer zu schnell fährt oder das Handy am Steuer benutzt, riskiert Punkte.
Kaum ein verkehrspolitisches Thema sorgt in Deutschland für so viel Diskussionsstoff wie ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Während die meisten europäischen Länder feste Obergrenzen kennen, bleibt Deutschland eine der letzten Ausnahmen ohne flächendeckendes Limit. Befürworter betonen Verkehrssicherheit und Klimaschutz, Kritiker pochen auf individuelle Freiheit und befürchteten Zeitverlust.
Doch was sagen die Fakten? Eine aktuelle Auswertung der Allianz Direct Versicherung wirft einen datengestützten Blick auf Geschwindigkeitsüberschreitungen, Blitzerdichten, Unfallstatistiken und die öffentliche Meinung zum Tempolimit. Dabei legen wir einen besonderen Fokus auf die sogenannten **"Raser-Punkte"** – ein Indikator dafür, wo Temposünder in Deutschland besonders oft auffallen und welche Bundesländer die Nase vorn haben, wenn es um gesammelte Punkte geht.
Raser-Ranking: Brandenburg Spitzenreiter, Berlin Schlusslicht
Die Daten der Allianz Direct für 2023 liefern spannende Einblicke in die Verteilung von Geschwindigkeitsverstößen in Deutschland, gemessen an den pro 1.000 Fahrer gesammelten Punkten. Es zeigen sich deutliche regionale Unterschiede:
Bundesland |
Punkte* |
Auffälligkeiten |
Brandenburg |
93,2 |
Führt das Ranking mit den meisten Punkten an, trotz mittlerer Blitzerdichte. |
Rheinland-Pfalz |
82,8 |
Folgt Brandenburg dicht auf Platz 2 im Raser-Ranking. |
Saarland |
71,8 |
Ebenfalls eine hohe Quote an Verstößen pro Fahrer. |
Hessen |
63,9 |
Die zentrale Bußgeldstelle in Kassel bearbeitet bis 1,5 Millionen Verstöße pro Jahr |
Niedersachsen |
56,5 |
Neben Hannover und dem Landkreis Göttingen, mehr Einnahmen in Stade und Leer |
Sachsen-Anhalt |
55,4 |
Hohe Einnahmen trotz moderater Blitzer-Dichte |
Thüringen |
54,1 |
Blitzer Hot-Spots am Hermsdorfer Kreuz und am Jagdbergtunnel |
Hamburg |
51,1 |
Der Blitzer an der Hamburger Elbbrücke sorgt für Rekordeinnahmen seit der Einführung von Tempo 50 km/h. |
Baden-Württemberg |
45,5 |
Neben Geschwindigkeitsüberschreitungen werden auch häufig Abstandsverstöße auf der A5 und A6 gemessen. |
Schleswig-Holstein |
45,2 |
330 illegale Kraftfahrzeugrennen registriert (mehr als Bayern). |
Nordrhein-Westfalen |
44,8 |
714 besonders schwere Tempoüberschreitungen (> 70 km/h) – ein bundesweiter Spitzenwert. |
Bremen |
43,4 |
Zweitniedrigster Wert im Bundesvergleich. |
Bayern |
39,5 |
Blitzer Hot-Spots an der A1. |
Sachsen |
32 |
Weniger Blitzer |
Berlin |
16,8 |
Geringster Anteil an Geschwindigkeitspunkten (22,82 %) an Gesamtpunkten. |
*Punkte für Geschwindigkeitsverstöße pro 1.000 Fahrer (2023) |
Diese Zahlen verdeutlichen: Die reine Anzahl der Blitzer ist nicht allein ausschlaggebend; auch das Fahrverhalten und andere regionale Faktoren spielen eine Rolle bei der Häufigkeit von Geschwindigkeitsverstößen. Besonders die hohen "Punkte"-Werte in einigen Bundesländern zeigen, wo das Problem des zu schnellen Fahrens am virulentesten ist.
Quelle: Eine Kartengrafik zeigt die Bundesländer mit den meisten Geschwindigkeitsüberschreitungen pro 1.000 registrierten Fahrern basierend auf der Analyse von Allianz Diect.(Bild, Sora AI
Auffällig ist dabei die Diskrepanz zwischen Brandenburg an der Spitze und Berlin am unteren Ende des Raser-Rankings. Das kann mehrere Gründe haben: Einerseits könnte es an einer geringeren Dichte an Kontrollstellen in Berlin liegen, die die tatsächlich begangenen Verstöße nicht vollumfänglich erfassen.
Andererseits wird auch diskutiert, ob Berliner Behörden mit der Bearbeitung von Bußgeldbescheiden schlichtweg nicht mehr hinterherkommen und viele Verstöße aufgrund von Verjährung gar nicht erst geahndet werden. Eine solche Situation würde das Bild der geringen "Raser-Punkte" verzerren und die wahre Problematik nicht widerspiegeln.
Tempolimit und Unfallstatistik: Ein Blick auf die Zahlen
Die Debatte um ein generelles Tempolimit ist nicht nur emotional, sondern auch hochrelevant für die Verkehrssicherheit:
- Deutschland ist das einzige europäische Land ohne generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen.
- Laut Statistischem Bundesamt starben 2023 insgesamt 2.839 Menschen bei Verkehrsunfällen in Deutschland.
- Besonders auf Autobahnen stiegen die Unfallzahlen: 19.000 Unfälle mit Personenschaden (+7,5 %) und 302 Todesopfer wurden registriert.
- In 43 % dieser Fälle war überhöhte Geschwindigkeit die Hauptursache.
Eine Auswertung des Unfallatlas zeigt, dass auf Abschnitten mit Tempolimit 0,95 tödliche Unfälle pro Milliarde gefahrener Kilometer auftraten, während es auf Abschnitten ohne Limit 1,67 waren – das sind rund 75 % mehr tödliche Unfälle ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Ein Crashtest verdeutlicht zudem, dass schon ein Unterschied von 20 km/h bei der Aufprallenergie über Leben und Tod entscheiden kann.
Durchschnittsgeschwindigkeit auf Autobahnen: Die Realität
Trotz der hitzigen Debatte um das Tempolimit zeigen aktuelle Daten, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen tendenziell sinkt:
- Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass selbst auf Abschnitten ohne Tempolimit rund 83 % der Autofahrer durchschnittlich langsamer als 130 km/h fahren.
- Nur etwa 10,5 % liegen bei der Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 130 und 140 km/h.
- Die durchschnittliche Geschwindigkeit sank von 116,5 km/h (2021) auf zuletzt 113,5 km/h. Gründe hierfür sind zunehmender Verkehr, mehr Baustellen und eine bewusste Orientierung vieler Fahrer an der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h.
Regionale Unterschiede und Hotspots
Rund um Orte wie dem Nürburgring, die viele PS-starke Fahrzeuge anziehen, wird das Thema "Rasen" zu einer realen Gefahr für Anwohner. Studien zeigen, dass besonders junge Männer dort durch riskantes Fahrverhalten auffallen.
Ein Blick auf ältere Verkehrsstudien untermauert das Potenzial ungebremster Geschwindigkeit:
- Auf einem Abschnitt der A9 bei Niemegk (ohne Limit) lag die durchschnittliche Pkw-Geschwindigkeit bei 141,8 km/h. Über 60 % der Pkw-Fahrer überschritten hier 130 km/h, mehr als 15 % fuhren sogar über 170 km/h.
- Im Vergleich dazu betrug die Durchschnittsgeschwindigkeit auf einem Abschnitt der A10 mit Tempolimit 120 km/h im Schnitt nur 116,5 km/h.
Tempolimit: Pro und Contra – Was die Mehrheit will
Die Debatte ist komplex, doch die Meinung der Bevölkerung scheint sich zu verfestigen:
- Laut einer Statista-Umfrage vom Juli 2024 befürworten 64 % der Deutschen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen (42 % für 130 km/h, 22 % eher dafür). Nur 36 % lehnen eine Begrenzung ab.
- Auch unter ADAC-Mitgliedern ist die Zustimmung gestiegen (55 % Anfang 2024).
- Mehr Verkehrssicherheit: Deutliche Reduktion schwerer Unfälle (bis zu 75 % weniger tödliche Unfälle auf limitierten Abschnitten).
- Klimaschutz: Ein Tempolimit von 120 km/h könnte jährlich 4,7 bis 6,7 Mio. Tonnen CO₂ einsparen (Umweltbundesamt).
- Besserer Verkehrsfluss und weniger Lärm.
- Weniger Stress: Eine gleichmäßigere Fahrweise führt zu einem entspannteren Fahrerlebnis.
- Internationale Anpassung: Angleichung an die Standards der meisten europäischen Länder.
- Individuelle Freiheit: Das Recht, auf bestimmten Autobahnabschnitten unbegrenzt zu fahren.
- Geringer Klimaeffekt: Der Beitrag zur CO₂-Einsparung wird als marginal im Gesamtkontext der Emissionen angesehen.
- Sicherheit der Autobahnen: Deutsche Autobahnen sind bereits heute die sichersten Straßen pro gefahrenem Kilometer (weniger Tote als auf Landstraßen).
- Wirtschaftliche Auswirkungen: Befürchtungen bezüglich negativer Effekte auf die Automobilindustrie und den Tourismus.
- Alternative Lösungen: Forderung nach flexiblen, situationsabhängigen Tempolimits statt einer pauschalen Begrenzung.
Tempolimit nur ein Teil-Aspekt
Die Tempolimit-Diskussion in Deutschland ist und bleibt ein kniffliges Thema. Die Allianz Direct Daten machen klar: Rasen ist weit verbreitet und hohe Geschwindigkeiten tragen maßgeblich zu schweren Unfällen bei. Gleichzeitig halten sich aber viele Autofahrer schon jetzt an die Richtgeschwindigkeit.
Ein Tempolimit kann Leben retten und den CO₂-Ausstoß senken, keine Frage. Doch es ist eben nur ein Puzzleteil im großen Ganzen der Verkehrssicherheit. Dinge wie unsere Straßen, die Verkehrsdichte und das menschliche Verhalten spielen genauso eine Rolle. Letztendlich ist die Entscheidung für oder gegen ein Tempolimit also nicht nur eine Frage von nackten Zahlen. Sie ist eine Abwägung, die Fakten berücksichtigt, aber eben auch emotionale Aspekte der persönlichen Freiheit berührt.
Methodik der Allianz Direct Studie
Die Allianz Direct Versicherung hat erschiedene Datenquellen analysiert, um ein umfassendes Bild der Tempolimit-Debatte in Deutschland zu zeichnen. Die Analyse basierte auf:
- Primären Datensätzen zur Anzahl der Blitzer und Geschwindigkeitsüberschreitungen aus eigenen Erhebungen der Allianz Direct.
- Einer Vielzahl offizieller Quellen wie dem Statistischen Bundesamt, dem Umweltbundesamt und Auswertungen des Unfallatlas.
- Umfrageergebnissen von renommierten Instituten wie Statista (Juli 2024), dem ADAC und dem Meinungsforschungsinstitut Emnid.
- Journalistischen Quellen und qualitativen Einschätzungen aus Fachartikeln von ARD, MDR, Spiegel und weiteren Medien, die zur Kontextualisierung beitrugen.
Ziel war es, die Diskussion rund ums Tempolimit mit Blick auf Sicherheit, Umwelt, gesellschaftliche Haltung und internationale Vergleiche faktenbasiert zu bereichern.